Unser Flug führt uns von Teneriffa nach Cayenne in Französisch-Guyana. Da unser Flugzeug den Sprung von Zürich nach Cayenne nicht in einem Hüpfer schafft, mussten wir auf den Kanarischen Inseln zwischenlanden. Am Morgen in Zürich hatten wir im Briefing das Wetter unserer Ausweichflughafen für das Leg über den Atlantik analysiert. Nur wenn das Wetter auf diesen Plätzen eine sichere Landung zulässt, darf der Flug über das unwegsame Gebiet gestartet werden. Unser Flugzeug ist EROPS (Extended Range Operations) zertifiziert. Das bedeutet, dass die maximale Distanz zwischen den Ausweichflughäfen drei Stunden betragen darf, sollten wir ein Triebwerk verlieren und mit reduzierter Geschwindigkeit unterwegs sein. Auf dem heutigen Flug sind unsere Ausweichflughafen Sal auf den Kapverden und Belem in Brasilien. Für einen EROPS Flug muss auch das Flugzeug strengere Auflagen erfüllen, was den technischen Zustand der Bordsysteme, insbesondere der Navigations- und Kommunikationssysteme betrifft. Schliesslich werden wir über einem Gebiet unterwegs sein, in welchem wir vom Radar verschwinden, und nicht mehr über die normalen Funkfrequenzen erreichbar sind. Die Systeme, der Flugplan, das Wetter und die Treibstoffmenge sind alle im grünen Bereich, also lassen wir die Triebwerke an, rollen auf die Startbahn und geben vollen Schub!
Bereits wenige Sekunden nach dem Start befinden wir uns über dem Meer. Für die nun folgenden sechs Stunden wird das so bleiben. Sollte nun ein technisches Problem auftreten gilt es genau abzuwägen, ob der Flug weitergeführt wird, oder ob es besser ist, umzukehren. Der Fluglotse gibt uns die Freigabe, auf 36'000 ft (11'000 m) zu steigen. Dies ist mit unserem jetzigen Gewicht die maximale Höhe, die wir momentan erreichen können. Das Festland liegt beim Erreichen dieser Höhe bereits eine halbe Stunde zurück. Vor uns liegt Ozean, soweit das Auge sehen kann. Nun gilt es, einen ersten Fuel Check durchzuführen. Haben wir mehr oder weniger verbraucht als gerechnet? Wie gross sind unsere Reserven gegenüber dem Minimum an Treibstoff, den wir über den Atlantik benötigen? Anschliessend möchten wir unser Lagebild, wie sich das Wetter auf unseren Ausweichflugplätzen verhält aktualisieren. Keine bösen Überraschungen, alles verläuft wie geplant und wir fliegen weiter. Schon bald überfliegen wir den ersten Equal Time Point, ETP. Bei diesem Punkt würde die Flugzeit zurück nach Tenerifa, oder zu unserem ersten Ausweichsflugplatz, Sal, genau gleich viel betragen. Sollte von nun an ein zeitkritisches Problem auftreten, würden wir demnach auf die Kapverden ausweichen.
Der Fluglotse informiert uns, dass er uns nun vom Radar verloren hat. Wir sind jetzt selbst für die Navigation verantwortlich. Die geplante und den Fluglotsen mitgeteilte Route darf nun nur noch im Notfall verlassen werden. Schliesslich separieren die Fluglotsen aufgrund dieser Daten die Flugzeuge untereinander, sodass keine Sicherheitsabstände verletzt werden. Weiter gibt er uns zwei neue Frequenzen: Eine Primäre und eine sekundäre HF-Frequenz. Diese Frequenzen erlauben uns, mit einer Station zu kommunizieren, die hinter dem Horizont liegt, da die Radiowellen von der Erdatmosphäre reflektiert werden. Die normalerweise verwendeten Funkfrequenzen können das nicht. Die Funkqualität von HF-Frequenzen ist aber bedeutend schlechter, und die Technologie, die dahintersteckt, relativ alt. Deswegen kommt nun Datalink ins Spiel. Dieses System erlaubt es, über Satellitenkommunikation Text Messages zwischen Controllern und Piloten zu schicken, also vergleichbar mit SMS. Zusätzlich übermittelt das ADS-C System in regelmässigen Abständen unsere Position via Satellit zum Controller. Die Positionsmeldungen auf der HF-Frequenz sind somit nicht mehr nötig, wie das vor einigen Jahren noch der Fall war. Via Datalink fragen wir nun den Fluglotsen, ob wir auf 38'000 ft steigen dürfen. In grösserer Höhe verbrauchen unsere Triebwerke weniger Treibstoff, weshalb es oft von Vorteil ist, möglichst hoch zu fliegen. Der Controller erteilt uns die Freigabe, also steigen wir.
Auf unserem Navigationsdisplay sehen wir, dass wir im EROPS-Teil der Route ankommen. Von nun an würde es im Notfall über zwei Stunden dauern, bis wir am Boden sind. Dies flösst etwas Respekt ein, aber das Vertrauen in moderne Flugzeuge ist mittlerweile so gross, dass meine Pulsfluktuationen eher vom Koffein im Kaffee stammen. Ebenfalls passieren wir den nächsten ETP, nämlich denjenigen zwischen Sal und Belem. Unser Navigationsdisplay zeigt überall nur blauen Ozean. Aus der Luft sorgen lediglich Wolken für visuelle Abwechslung, Schiffe können wir keine sehen, dafür sind wir zu hoch.
Auf der Uhr bemerken wir, dass eine Ablöse im Cockpit kurz bevorsteht. Da wir so lange unterwegs sind, befinden sich an Bord noch ein weiterer Kapitän und Copilot, sodass auch während des Fluges genügend Zeit vorhanden ist, sich mal auszuruhen. Ich packe also meine Sachen zusammen und briefe meinen Kollegen über unsere Position, mit wem wir am Boden in Kontakt sind, wie das Wetter aussieht und wieviel Treibstoffreserven vorhanden sind. Anschliessend leg ich mich in unserem Crew Rest aufs Ohr und ruh mich ein bisschen aus. Mein nächster Job wird erst am Boden in Cayenne sein: Das Flugzeug für den Weiterflug nach Lima bereitzustellen.